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Im Jahr
der Sphinx
Rückkehr in die Stadt am Strom Erzählung
Lichtung Verlag
Viechtach, 2003 |
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Das Regensburger Lächeln
Das erste, das mir in der Steinernen Stadt nach meiner
Rückkehr mit Ria und Christina in die Augen sprang,
war ein merkwürdig wissendes Lächeln. Das berühmte
Regensburger Lächeln. Alt und neu zugleich. Aus einer
anderen Welt.
Der Engel der Verkündigung lächelt im Dom. Die
Stirn ist rund. Die Augen glänzen. Die Wangen erzählen
von einer himmlischen Zuckerbäckerei, aus der es
Manna regnet, heute würde man sagen: Honigtau der
Mannaschildlaus - eine süße Gabe, welche die
Kinder Moses bei ihrem Auszug aus Ägypten beglückt
hat. Der Erminoldmeister hat das selige Lächeln für
alle Zeit in die Züge des Engels gemeißelt,
dessen wallendes Gewand mit dem schweren Faltenwurf unter
der Lockenpracht im Dom verrät, dass es kalt und
windig war, als der Engel mit der Ave-Maria-Schleife seinen
Gruß überbracht hat. Wann, wissen wir nicht
genau. Es könnte Mariä Lichtmeß im Februar
gewesen sein, dann aber wäre Weihnachten neun Monate
später, Mitte Oktober, viel zu früh, oder es
war um die Weihnachtszeit bei Mariä Empfängnis
am 8. Dezember, wann aber wäre Weihnachten dann?
Maria nimmt die frohe Botschaft in gebührendem Abstand
entgegen. Sie strahlt nicht. Sie lächelt sanft und
ergeben, vielleicht sogar ein wenig unsicher über
das, was der Verkündigungsengel verheißt: „Siehe,
dir wird ein Kindlein geboren!" Marias Hand in Brusthöhe
ist halb erhoben als demütig dankende, zugleich erschrockene
Ach-Bewegung: „Ach, ich bin die Magd des Herrn,
mir geschehe nach deinem Wort". Als würde Maria
die Kunde in Nazareth etwas ratlos vernehmen und noch
Abstand halten wollen zu allem, was da kommen wird: die
Wanderung nach Bethlehem zur Volkszählung, die Herbergssuche,
die Niederkunft in der Hirtenscheune, der Komet mit dem
Sternenschweif, die Flucht vor den Schergen des Herodes,
die Sorge um den Sohn: „Siehe, der Herr ist geboren."
Der Herr Sohn. Alles Weitere ist bekannt: „Es begab
sich also zu jener Zeit", wie die Geschichte erzählt,
zur Zeit des Kaisers Augustus. Der Erminoldmeister meißelt
die Botschaft mit sparsamen Gesten und einem himmlischen
Lächeln, das in Schönheit schmilzt, in den Stein.
Der zeitlose Ausdruck dieser Licht-Gestalten im Dom hat
mich mein Leben lang begleitet und mich nicht mehr verlassen.
Nicht immer war es ein reines Leuchten und Strahlen, das
ich in der „Kathedrale im Licht" gesehen habe. |