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Parsifal
Eine Erzählung
Sofia: Ango Boy 2005.
Edition "Ost und West"
Hrsg: Rumjana Zacharieva
ISBN: 954-737-535-0
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Die Stadt wird von einem Skandal erschüttert. Die
Rede is
von einer seltsamen Erscheinung, die sich an ungewöhnlichen
Orten bemerkbar macht. Ein Froschmensch. Martin
Kundrich. Absurd hässlich. Ein Todesbote. Wer hat
ihn als
erster gesehen? Keiner hat etwas von seinem Dasein
gewusst. Eine Katastrophe, heißt es, sei mit Kundrich
in die
Stadt gekommen, die Pest, die es längst nicht mehr
gibt. Die
Pestsäule am Jakobstor erinnert daran. Kundrich trägt
ein
Kreuz auf den Schultern. In der linken Hand hält
er ein Abbild
des Grals, es sieht aus wie ein Ei, vielleicht ist es
ein Ei,
niemand hat den Gral je gesehen, der lebensspendende Stein
aus den Sternen könnte aussehen wie ein Ei, warum
nicht,
andere behaupten, der Gral sei ein Kelch. Mit der rechten
Hand umklammert der Mann am Kreuz einen Krug wie einen
lebensspendenden Kelch. Sein Gesicht ist von Pestbeulen
zerfressen. Das Schreckgespenst des Regensburger
Kindermörders Martin Prinz geistert durch die Stadt.
„Blasphemie", protestieren die Domherren
und fordern, den
Eindringling sofort zu entfernen. Mit allen Mitteln.
Er hält
den Menschen das Elend vor das Gesicht. Das will niemand
sehen. Mitleid kennen die Domherren nicht.
„Wer hat Angst vorm grünen Mann", schreien
die Kinder in
Froschkostümen auf dem Eis. Sie drehen wilde Schleifen
und johlen und kreischen, bis der Froschmann plötzlich
mitten
unter ihnen steht. So plötzlich, dass das Blut
in ihren Adern
gefriert, und die weit aufgerissenen Augen ins Leere
starren.
(S. 34)
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